Janis McDavid Preisträger des Personal Brand Award 2022
Janis McDavid reist um die Welt, fährt Rennwagen, schreibt Bücher und steht als Speaker vor großem Publikum. In den Medien sorgt er mit seiner Einstellung zum Leben und seinen außergewöhnlichen Projekten regelmäßig für Aufmerksamkeit. Er schloss die Schule ab, studierte, wohnte in einer WG – doch schnell war ihm das zu langweilig. Janis wollte kein 08/15-Leben, sondern eines, von dem er behaupten kann, es ist wirklich geil. Dass er ohne Arme und Beine zur Welt gekommen ist, hält ihn keineswegs davon ab, alles zu tun, was er möchte. Ben Schulz traf den 30-Jährigen, um ihn mit dem Personal Brand Award für außergewöhnliche Persönlichkeiten zu ehren und sprach in einem sehr persönlichen Interview mit Janis unter anderem über die Themen Gleichheit, Diversity und Wirksamkeit.
„Eine Herausforderung ist immer nur dafür da, sie zu meistern.“
Ben: Es könnte der Eindruck entstehen, dass du dein Leben viel besser meisterst als Menschen ohne Handicap. Woher kommt das?
Janis: Da müssten wir vielleicht die anderen Menschen fragen (lacht). Mit Sicherheit trägt meine persönliche Einstellung zum Leben dazu bei. Ich sehe das Leben als ein Geschenk und es liegt an mir, dieses zu gestalten. Entweder sehe ich es als schöne Deko, die ich ins Regal stelle und verstauben lasse oder ich mache Gebrauch davon, kreiere es ganz nach meiner Vorstellung bunt und lebhaft. Mir wurde schon früh bewusst, dass es allein an mir liegt, wie mein Leben aussieht. Ich traf für mich die Entscheidung, das Beste daraus zu machen und es so zu gestalten, wie ich möchte.
Ben: Du sprichst hier davon, Selbstverantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Was bedeutet das für dich?
Janis: An dieser Stelle spreche ich auch gerne von Selbstwirksamkeit, davon, was ich selbst bewirken und welche Schrauben ich im großen Rad der Gesellschaft oder in meinem eigenen Leben justieren kann. Hier unterscheide ich mich im Grunde gar nicht so viel von anderen Menschen. Ich habe Lust, die Dinge zu tun, die mir Spaß machen – ich liebe es zu reisen, Rennwagen zu fahren, mit dem Auto unterwegs zu sein oder mit Freunden feiern zu gehen. Das Paradoxe ist, dass die Außenwelt aus diesen gewöhnlichen Dingen „bei mir“ eine Besonderheit macht. Viel meiner Selbstwirksamkeit ist der Tatsache geschuldet, dass ich, unter objektiven Maßstäben betrachtet, einen großen Nachteil gegenüber anderen habe. Die Frage ist allerdings, ob ich mich von dieser Herausforderung beeinflussen lasse oder eine andere Einstellung dazu finde. Ich habe für mich entschieden, das nicht als Hindernis zu sehen. Ich will einfach ein geiles Leben führen.
Ben: Als Speaker sprichst du regelmäßig zu Menschen, die sich im Business-Kontext bewegen. Diese haben alle den Wunsch wirksam zu sein. Was ist deiner Meinung nach wichtig, um Wirksamkeit zu erreichen?
Janis: Anders gefragt – ist es letztlich nur eine Frage der inneren Einstellung? Hier möchte ich auch das Wort Komfortzone aufgreifen, das in den letzten Jahren leider zu inflationär genutzt wurde, aber den Kern gut trifft. Im Zusammenhang mit Wirksamkeit stellt sich immer auch die Frage nach dem Verlassen der Komfortzone. Bei Menschen, die zuhause auf dem Sofa sitzen, spielt sich die Wirksamkeit nur dort ab und reicht vielleicht gerade noch bis zum Kühlschrank. Um Wirksamkeit zu erreichen, gilt es für sich festzulegen, in welchen Bereichen man überhaupt wirksam sein möchte. Ich bin davon überzeugt, dass wir immer wirksam sind, es liegt nun aber an uns, wo. Es geht dabei nicht darum, dieses Wort so wahnsinnig groß aufzubauschen, denn nicht jeder, der wirksam ist, wird gleich die ganze Welt verändern. Doch ein Punkt ist wichtig, und zwar, dass Wirksamkeit immer bei uns selbst beginnt und dann nach außen strahlt.
Ben: Gab es einen Punkt in deinem Leben, an dem diese Wirksamkeit bei dir begonnen hat? Einen Moment, in dem du dich selbst akzeptieren, respektieren und lieben gelernt hast?
Janis: Der Weg zu mir selbst war ein Prozess, der zunächst damit anfing, mich zu tolerieren, später folgten dann die Anerkennung und Wertschätzung für mich selbst und heute kann ich sagen, dass ich mich selbst liebe. Wenn ich heute in den Spiegel schaue, toleriere ich nicht einfach nur, dass ich keine Arme habe, sondern ich finde es mittlerweile richtig cool. Ich denke, dass alle Menschen zu dieser Einstellung kommen können. Auch wenn das im ersten Moment egoistisch oder vielleicht sogar narzisstisch anmuten mag, geht es nicht darum, in diese Extreme zu verfallen, sondern sich selbst zu lieben. Ich finde es nicht verwerflich, in den Spiegel zu schauen und mir zu sagen: „Du siehst gut aus.“ Ich finde es umgekehrt eher verrückt, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der es in Ordnung zu sein scheint, sich selbst runterzumachen, nicht aber, sich gut zu finden. Natürlich gab es auch bei mir Phasen, in denen ich gar nicht in den Spiegel geschaut habe, weil ich mich zu sehr geschämt habe. Phasen, in denen ich aufgrund meines Aussehens, mich selbst und meine eigene Identität abgelehnt habe. Diese Tiefpunkte waren für mich aber ebenso wertvoll, um den Weg zur Selbstliebe gehen zu können.
Ben: Du hast hier das Wort Identität angeschnitten – gab es ein Schlüsselereignis in deinem Leben, wo dir das erste Mal bewusst geworden ist, wer du bist?
Janis: Jeden Tag aufs Neue. Für mich ist gerade das Spannende am Leben und am Alltag, dass ich in vielen unterschiedlichen Momenten feststelle: „So bist du.“ Ich lerne immer wieder neue Facetten kennen, die mich auszeichnen und diese Suche wird auch nie enden. Natürlich entdecke ich nicht jeden Tag eine vollkommen neue Person und ich bin mir meiner grundlegenden Identität bewusst, aber dennoch ist Identität für mich etwas, das nicht in Stein gemeißelt ist. Unsere Identität ist ein lebendiges Konstrukt, das sich weiterentwickelt und über die Zeit verändert. Insofern fällt es mir schwer, einen Moment herauszugreifen, an dem ich festmachen würde, was meine Identität ist. Natürlich ist es Teil meiner Identität, dass ich ohne Arme und Beine geboren bin, ebenso, dass ich im Rollstuhl sitze, aber genauso gehört es zu mir, dass ich es liebe Interviews zu geben, auf der Bühne zu stehen oder im Rennwagen zu sitzen. All diese Dinge sind ein Teil von mir und meiner Identität.
Ben: Ein weiterer Teil, der seit einiger Zeit zu dir gehört, ist auch deine Tätigkeit für UNICEF. Was motiviert dich als UNICEF-Botschafter tätig zu sein?
Janis: Der Grundgedanke der UN hat mich schon immer fasziniert. Die Vorstellung davon, dass wir als Menschheit zusammenarbeiten müssen und die Einstellung, das nationalstaatliche Denken und das Denken in Unterschieden endlich zu überwinden, beeindruckt mich schon viele Jahre. Am Ende sind wir alle Menschen und ich bin bis heute zutiefst davon überzeugt, dass wir die großen Fragen der Zukunft nur gemeinsam als Menschheit lösen können. UNICEF als eine Unterorganisationen der UN hat für mich einen hohen Stellenwert, da ich hier mit und für Kinder arbeiten und ihnen Themen wie Diversity und Inklusion näherbringen kann. Wenn wir erfolgreich den Gedanken der Menschheit als Einheit kommunizieren wollen, dann müssen wir meiner Meinung nach bei den Kindern anfangen. Allein deshalb, weil sie oftmals gar keinen Unterschied sehen und keine Unterscheidungen bei Menschen machen. Deswegen war ich sofort dabei, als damals die ersten Anfragen von UNICEF kamen. Ich finde es bis heute eine wahnsinnig spannende Arbeit, weil ich unheimlich viel bewirken kann.
Ben: Leider machen viele Menschen Unterscheidungen und es wird an vielen Stellen über Gleichheit und Diveristy diskutiert. Wie stehst du dazu?
Janis: Ich möchte in einer Welt leben, in der Merkmale, die uns unterscheiden, nicht zu einer Unterscheidung führen. Das ist meine Vision, mit der ich viel unterwegs bin und bei der ich auch nicht müde werde, sie zu kommunizieren. Ziel ist es nicht, alle gleich zu machen, sondern mir geht es darum, ein Bewusstsein zu schaffen, dass viele Merkmale, anhand derer wir gesellschaftlich Unterscheidungen vornehmen, willkürlich sind. Stell dir vor, wir würden die Unterscheidung machen, dass Menschen unter 1,80 m Körpergröße nicht mehr in die Oper gehen dürften. Das wäre absolut absurd. Die Gesellschaft macht aber genau auf Basis solch irrelevanter und willkürlich gezogener Merkmale eine Unterscheidung, die zu Ausgrenzung und zu Nachteilen führt. Ich bin davon überzeugt, dass wir die großen Zukunftsfragen nur dann lösen, wenn wir uns bewusst sind, dass wir jeden und jede in unserer Gesellschaft brauchen.
Ben: Das ist auch ein Teil der Vision, die du in deinem letzten Buch angesprochen hast. Wenn wir dieses Thema kurz weiterdenken. Was braucht es deiner Meinung nach konkret, um eine solche Welt zu erschaffen?
Janis: Es braucht die Bereitschaft, sich auf den anderen Menschen einzulassen. Neugierde dem sogenannten „Fremden“ gegenüber und die Bereitwilligkeit, das Gegenüber zu verstehen, auch wenn er oder sie nicht die eigene Meinung teilt. Wir brauchen zudem wieder eine vernünftige Debattenkultur und eine Fehlertoleranz anderen gegenüber. Ebenso essenziell sind die Begegnung und der Austausch mit Menschen. Eines der großen Probleme heutzutage ist, dass wir diese Begegnung an vielen Stellen systematisch ausgeschlossen haben. Ich will dazu ein Beispiel nennen: Menschen mit Behinderung sind bis heute kein Teil der normalen Gesellschaft. Den meisten ist gar nicht bewusst, dass hier ein Paralleluniversum geschaffen wurde, welches sich durch das ganze Leben zieht. Angefangen von sogenannten Förderkindergärten und -schulen bis hin zu Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Diese konstruierte Parallelwelt macht es der Mehrheitsgesellschaft gemütlich und vermeintlich einfacher, sich nicht damit auseinanderzusetzen. Denn natürlich ist es scheinbar leichter, sich ausschließlich mit Menschen zu umgeben, die genauso denken wie man selbst, die am besten auch noch genauso aussehen, die einem keine Steine in den Weg legen und keine Widerworte geben. Doch was erreichen wir damit? Innovation und Fortschritt finden nicht dort statt, wo alle nicken und ja sagen, sondern entstehen vielmehr dann, wenn Dinge kritisch hinterfragt werden. Wir schließen das Unangenehme und die Konfrontation aus und haben als Gesellschaft ein sehr gemütliches System dafür erschaffen, das teilweise bis heute vehement verteidigt wird.
Ben: Um diese Welt zu erreichen, ist es auch nötig, Grenzen zu überschreiten. Du bist auch ein Grenzgänger und machst Dinge, die man so nicht erwarten würde. Worin liegt für dich der Reiz, deine Grenzen immer aufs Neue auszutesten?
Janis: Ich finde es total cool, Dinge zu tun, die man so von mir nicht erwartet. Jemand, der keine Arme und Beine hat, der gehört im gesellschaftlichen Bild nicht auf den Kilimandscharo und auch nicht in ein Rennauto, vielleicht auch nicht unbedingt auf eine Bühne. Ich finde es spannend, weil ich gerade in diesen Grenzbereichen Menschen die Augen öffnen kann und einen Aha-Effekt erziele. Ich spiele sehr gerne mit Grenzen, da ich immer wieder beobachte, dass dadurch bei meinem Gegenüber viel passiert und Gedanken in Gang gesetzt werden.
Ben: Über Grenzen zu gehen, ist auch eine Form der Polarisierung. Jetzt sind wir es gewohnt, auf Social Media und Co. in einer Blase zu sein, in der immer alles perfekt ist. Du polarisierst mit deiner klaren Einstellung in den sozialen Netzwerken. Wie gehst du mit negativen Kommentaren und Hatern um?
Janis: Niemand, der in der Öffentlichkeit steht, kann behaupten, nichts mit Hatern zu tun zu haben. Ich sehe das mittlerweile als Auszeichnung und daran erkennst du schon meine Einstellung. Natürlich musste ich am Anfang meiner Karriere lernen, damit umzugehen und habe mich zu Beginn eher zurückgehalten. Aber ich glaube, wenn wir uns von negativen Kommentaren und Hate fertig machen lassen, ist niemandem geholfen. Ich mache das, was ich für richtig halte und mit mir vereinbaren kann. Mittlerweile verfüge ich über die Standfestigkeit, damit umzugehen und mich nicht aus der Bahn werfen zu lassen.
Ben: Um diese Standfestigkeit zu erreichen, hattest du bestimmt Menschen an deiner Seite, die dich geprägt und inspiriert haben, welche waren das?
Janis: Allen voran haben mich meine Eltern unheimlich geprägt. Sie haben für mein Selbstbewusstsein und meine Standfestigkeit gesorgt, indem sie mich stets herausgefordert haben. Zum Beispiel sagten sie zu mir: „Ja, du hast keine Arme und Beine. Und jetzt? Stell dich nicht so an. Nur weil du keine Arme und Beine hast, kannst du nicht hier auf dem Sofa rumliegen und dich bedienen lassen.“ Einer meiner Lehrer hat mich ebenfalls inspiriert und geprägt. Durch ihn kam ich zum ersten Mal auf den Gedanken, mich nicht nur mit meinen Schwächen zu beschäftigen, sondern meine Stärken zu feiern. Eine Person, die einen Teil dazu beigetragen hat, dass ich heute diesen Award entgegennehmen darf und, dass ich überhaupt auf der Bühne stehe, ist Gerd Kirchhoff. Wir haben uns durch Zufall 2013 kennengelernt, als ich im Publikum einer Veranstaltung saß. Ich war damals noch ein schüchterner Student und hoffte, dass mich keiner bemerkt. In der Pause kam er auf mich zu und einer seiner ersten Sätze war „Janis, ich sehe in Ihnen etwas. Sie müssen auf die Bühne.“ Lange Zeit begleitete mich Gerd als Mentor und hat mich begeistert.
Ben: Viele sehen in dir ein Vorbild, auch wenn ich weiß, dass du diesen Begriff nicht unbedingt magst. Wenn nicht als Vorbild, in welcher Rolle möchtest du dann wahrgenommen werden?
Janis: Am liebsten hätte ich bei jedem Menschen, der mir zuhört, eine andere Rolle, weil wir alle viel zu individuell sind. Ich bin kein Fan von Schubladendenken und möchte nicht nur in einer Rolle wahrgenommen werden. Für den einen bin ich vielleicht Vorbild, für den anderen aber der Provokateur und für den nächsten bin ich vielleicht nur ein Spiegel, der ihm etwas vorhält. Für den übernächsten bin ich ein guter Geschichtenerzähler usw. So oder so bin ich ganz unterschiedlich. Und ich will gar nicht die Rolle des Vorbildes einnehmen, denn ich finde, es gibt im Grunde nichts schlimmeres als die Aussage, in jemandes Fußstapfen zu treten. In den Fußstapfen kann man nichts bewirken, dort ist kein Raum für Entwicklung, Innovation oder Neues. Und ganz ehrlich, niemand kann besser sein als das Original selbst. Ich kann mich zwar von den Fähigkeiten eines anderen inspirieren lassen, aber unmöglich zu einer besseren Version dieser Person werden, ich kann nur die beste Version meiner selbst werden.
Ben: Abgesehen von der Rolle, die du bei anderen einnimmst, ist es dein Ziel bei den anderen etwas zu bewirken. Was möchtest du bei den Menschen auslösen, die dich auf der Bühne sehen, deine Botschaft hören oder dein Buch lesen?
Janis: Ich möchte, dass die Menschen aufhören in Unterschieden zu denken und sich gegenseitig das Selbstbewusstsein zu zerstören. Vielmehr möchte ich, dass die Menschen anfangen, sich mit den Dingen zu beschäftigen und das umzusetzen, was sie sich selbst schon immer vorgestellt haben.
Ben: Das ist dir selbst bereits sehr gut gelungen. Was möchtest du in Zukunft noch erreichen und über welche Grenzen wirst du als nächstes gehen?
Janis: Ich war gerade erst letztes Jahr auf dem Kilimandscharo und habe mir damit einen meiner Lebensträume erfüllt. Aber nicht nur das, ich habe bereits eine ziemlich große Grenze überschritten. Eine, bei der viele Leute gedacht haben, das geht nicht. Die Schwierigkeit an so einer Sache ist, ob es immer so weitergehen kann. Ich glaube nicht, dass ich als nächstes auf den Mount Everest gehe, nur weil das der nächsthöhere Berg ist. Und vor allen Dingen, wie sollte es danach weitergehen? Aber natürlich habe ich Zukunftsvorstellungen. Ich freue mich, noch viele großartige Länder bereisen zu dürfen und natürlich mit UNICEF weiter die Welt zu verbessern. Ebenso werde ich meine Botschaft weiterverbreiten und dafür kämpfen, dass wir bald in einer Welt leben, in der Unterschiede keine Rolle mehr spielen.
Ben: Vielen Dank für deine Zeit. Unser Gespräch ist noch einmal die absolute Bestätigung, dass du diesen Preis mehr als verdient hast, weil du für mich und viele andere eine wirklich außergewöhnliche Persönlichkeit bist.