Nichts scheint in unserer westlichen Kultur so verpönt zu sein, wie Fehler zu machen. Passiert einer, gibt’s gleich einen auf den Deckel – zumindest, wenn der Schuldige gleich auszumachen ist. Ansonsten beginnt die Reise der Suche nach dem Verursacher. Eine Reise, die auf dem Pfad der Lügen und Ausreden durch die Landschaften von „ich war’s nicht“, „das war bestimmt“, „ich habe ein Alibi“ geht. Mühsam und selten gewinnbringend.
Dabei sind Führungskräfte und Angestellte vom großen Wert einer positiven Fehlerkultur in den Unternehmen überzeugt. Vordergründig. Denn die Ergebnisse einer Studie von Ernst & Young in Kooperation mit der ESCP Business School und der Hochschule Hamm-Lippstadt zeigen etwas anderes.
Der ernüchternde Status Quo unserer Fehlerkultur
An der Studie „Fehlerkultur Report 2023“ nahmen 800 Angestellte und 200 Führungskräfte aus den Branchen Maschinenbau, Transport und Logistik, Automobilhersteller und -zulieferer sowie Banken und Versicherungen teil. Die ernüchternde Realität sieht folgendermaßen aus:
- 64 Prozent der befragten Führungskräfte haben in den vergangenen beiden Jahren eigene Fehler gar nicht oder nur teilweise zugegeben.
- Besonders alarmierend ist der Wert in der Finanzbranche. Hier haben 82 Prozent der Führungskräfte ihre Fehlschläge vollständig oder teilweise unter den Teppich gekehrt.
Da bin ich wirklich mal sprachlos!
Als Hindernisse für den konstruktiven Umgang mit Fehlern sehen Führungskräfte vor allem
- alte Gewohnheiten (50 Prozent),
- Angst vor Gesichtsverlust (48 Prozent) und
- fehlendes unternehmerisches Denken der Mitarbeiter (38 Prozent).
Die Hauptgründe, aus denen Führungskräfte nicht zu ihren eigenen Fehler stehen, sind
- die Sorge vor Karrierenachteilen (43 Prozent) und
- die Angst vor Jobverlust (34 Prozent).
Analysiert nach Branchen zeigt sich, dass die Sorge vor Karrierenachteilen insbesondere in der Finanzwirtschaft und der Fertigung hoch ist (jeweils 58 Prozent).
Das steht tatsächlich in einem starken Kontrast zu einem weiteren Ergebnis dieser Studie: Laut 50 Prozent der Führungskräfte gefährdet eine mangelnde Fehlerkultur die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.
Der Fisch fängt am Kopf an zu stinken. Wenn die Führungskräfte sich jeglicher Verantwortung für ihre Fehler entziehen, wie sollen es dann die Mitarbeitenden lernen?
Welches Vorbild wird denn da gelebt? Erschreckend! Denn Fehler sind zwar meist unlustig, aber nicht zwingend schlecht. Sie sind eine Chance zur Weiterentwicklung, wenn konstruktiv mit ihnen umgegangen wird.
Beginnen Sie NOCH HEUTE mit einer Lernkultur
Ich persönlich finde ja das Wort „Fehlerkultur“ nicht so prall. „Lernen“ hört sich doch viel positiver an – und der Umgang mit Fehlern sollte als solches verstanden werden. Aber wie kann eine solche Kultur in Unternehmen etabliert werden?
Starten Sie bei sich
Genau, indem erst die Unternehmer und Führungskräfte diese annehmen und vorleben und sie Teil der Unternehmenskultur wird. Echt! Authentisch! Und nicht nur auf dem Zettel …
Dies setzt selbstverständlich eine bewusste Reflexion der eigenen Werte und Einstellungen voraus. Nur, wer selbst-bewusst, souverän und authentisch ist, hat auch die Größe, für seine Fehler einzustehen und für sie Verantwortung zu tragen.
Selbstführung – mein Thema der nächsten Woche – kann Ihnen dabei hilfreich sein.
Nehmen Sie sich Vorbilder
Wie gut man aus Fehlern lernen kann, zeigt eine Anekdote aus den USA. Der Chemiker Charles Nelson Goodyear arbeitete mit Naturkautschuk, hatte aber das Problem, dass dieser bei Wärme schnell schmolz und bei Kälte zerbrach. Er versuchte Mischungen, unter anderem mit Schwefel. Aus Versehen fiel ein Teil der Mischung auf eine heiße Herdplatte. Als der Klumpen abgekühlt war, blieb der Gummi weiterhin elastisch. Er hatte mittels eines „wissenschaftlichen Zufalls“ die Vulkanisation entdeckt und damit den für Reifen so wichtige Hartgummi.
Wahrscheinlich wäre er damit ein gern gesehener Gast auf den sogenannnten Fuckup Nights, die sich seit über 10 Jahren immer stärker durchsetzen. Unternehmer berichten von ihren größten Fehlentscheidungen und Fehlern und sprechen vom Scheitern und Wiederaufstehen. Ziel des Ganzen: Die Etablierung einer Fehler- – ach nein – Lernkultur – auch für deutsche Unternehmer und Banker.
Wie die Zahlen der Studie von Ernst & Young gezeigt haben, ist hier noch ziemlich viel Luft nach oben ...
Ben Schulz ist Sparringspartner für Geschäftsführer und Führungsteams in klein- und mittelständischen Unternehmen, wenn es um deren Strategie und Transformationsprozessen geht. Der Vorstand des Beratungshauses Ben Schulz & Partner AG legt den Schwerpunkt seiner Tätigkeit, gemeinsam mit seinem Team, auf die Schwerpunkte Unternehmensleitbildentwicklung, Kulturwandel, Führungskräfteentwicklung und strategischen Unternehmersparrings, bei denen es um die Steigerung von Perfomance geht.