Tag 8: Zwischen Reiz und Reaktion liegt dein eigentliches Ich

Heute früh bin ich in Narvik losgefahren. 480 Kilometer bis Alta. 9,5 Stunden auf dem Motorrad. Irgendwann sagte mein Wetterradar: „Ab Kilometer 280 wird’s ungemütlich.“ Es hatte Recht. Regen. 7 Grad. Ich war komplett durchnässt, trotz Regenkombi. Die Kälte ist durch die Kleidung gekrochen, bis in die Knochen. Ich hab meine Hände immer wieder auf den heißen Motorblock gelegt – einfach nur, um sie noch spüren zu können. Und dann saß ich da. Kilometer für Kilometer. Und merkte: Ich bin erschöpft. Körperlich sowieso. Aber begeistert und mit einem innerlichen Glücksgefühl.

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Was mich heute überrascht hat: Ich habe meine Erschöpfung nicht als Schwäche empfunden. Sondern als Realität. Früher wäre ich damit nicht klargekommen. Heute spüre ich: Ich funktioniere – aber ich führe mich dabei. Das war nicht immer so.

2009 stand ich mal morgens vor der Spülmaschine und konnte nicht mal entscheiden, ob ich die Tassen noch einräume oder einfach liegenlasse. Das war nicht Müdigkeit. Das war Leere. Komplett. Emotional, körperlich, mental – einfach leer. Ich hab mir Ausreden überlegt, um nicht ins Büro zu müssen. Hab mich selbst belogen. Mein Team belogen. Alles, was ich zeigen konnte, war ein funktionierendes Außen. Und innen: Chaos.

Heute bin ich da hin und wieder nah dran. Ehrlich. Es ist nicht so, dass das nie wiederkommt. Ich kenne die Momente, in denen ich keine Lust auf Menschen habe. Auf Projekte. Auf Verantwortung. Ich funktioniere. Aber ich spüre: Wenn ich mich nicht bewusst führe, falle ich zurück.

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Erschöpfung ist kein Feind. Verdrängung schon.

Ich begegne vielen Führungskräften, die sagen: „Ich hab alles im Griff.“ Und innerlich schreit es längst. Ich kenn das. Du willst niemandem zur Last fallen. Du willst nicht zeigen, dass du gerade selber schwankst. Und irgendwann merkst du: Es läuft nicht mehr. Du läufst. Und keiner weiß wohin.

Diese permanente Überforderung – sie kommt nicht über Nacht. Sie wächst. Und sie schreit nicht. Sie flüstert. Bis du sie nicht mehr hörst, weil du gelernt hast, sie zu übertönen. Mit To-do-Listen. Meetings. Aktionismus. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Ich lebe mit der Gefahr, mich selbst zu verlieren, täglich. Und manchmal gelingt mir die Balance. Aber manchmal auch nicht.

Impulskontrolle war für mich früher ein Fremdwort. Ich bin laut geworden. Wütend. Ungeduldig. Heute bin ich nicht „perfekt ruhig“. 

Viktor Frankl hat einmal gesagt: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion.“

Und dieser Raum entscheidet, ob du führst oder verletzt. Ob du lenkst oder zerstörst.

Emotion ist keine Ausrede. Sie ist ein Werkzeug.

Ich bin kein Fan von Schönrednerei. Du willst wissen, wie oft ich aus Emotion geführt habe und es später bereut habe? Zu oft. Und ich kann dir sagen: Die Entschuldigung danach ist nie so stark wie der Schaden, den du in dem Moment angerichtet hast.

Und ja – ich bin auch jemand, der gerne überzeugt. Der performt. Der seine Wirkung kennt. Aber weißt du, was manchmal stärker ist? Nichts zu sagen. Die Wut durchatmen. Die Enttäuschung zulassen – aber nicht auf dein Team werfen.

Ich habe gelernt, Feedback zuzulassen. Mich coachen zu lassen. Nicht, weil ich es brauche – sondern weil ich es nicht alleine halten kann. Ich brauche diesen Spiegel. Und ich brauche Menschen, die mich erinnern, wenn mein Reiz-Reaktions-Raum wieder zu eng wird.

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Du bist nicht unersetzlich. Nur gerade ziemlich leer.

Wenn du beim Lesen merkst, dass du innerlich zuckst – dann lies diesen Abschnitt bitte zweimal. Und beantworte die Fragen. Nicht als Führungskraft. Sondern als Mensch.

Wie viele Burnout-Warnzeichen ignorierst du gerade bewusst?
Was in deinem Kalender dient wirklich deinem Unternehmen – und was deinem Ego?
Wo tust du noch so, als würdest du es „für die Anderen“ machen – obwohl du längst leer bist?
Was würdest du tun, wenn du niemandem beweisen müsstest, dass du alles kannst?

 

Ich stell mir diese Fragen regelmäßig. Und oft gefallen mir die Antworten nicht. Weil sie unbequem sind. Weil sie ehrlich sind. Aber genau das braucht es. Diese radikale Ehrlichkeit mit sich selbst. Ohne die, keine Impulskontrolle. Keine Haltung. Keine Führung.

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Dein Team braucht keinen emotionalen Vulkan

Authentisch sein heißt nicht: Alles rauslassen. Es heißt: Wissen, was du gerade in den Raum bringst. Und ob du es verantworten kannst. Ich hab schon oft erlebt, wie ich in Meetings Dinge gesagt habe, die ich später zurücknehmen musste. Nicht, weil sie falsch waren. Sondern weil sie im falschen Ton kamen. Im falschen Moment. Mit der falschen Energie.

Und ja – das passiert mir heute noch. Aber ich merke es schneller. Und ich arbeite daran. Täglich. Weil ich weiß, was es kaputt machen kann. Weil ich erlebt habe, wie viel Vertrauen eine unkontrollierte Reaktion kosten kann.

Was waren deine letzten drei Führungsmomente, auf die du nicht stolz bist?
Wie oft führst du mit Emotion – und rechtfertigst es mit „Ich bin halt authentisch“?
Welche Beziehung in deinem Unternehmen ist belastet – weil du dich nicht im Griff hattest?
Was wäre, wenn du bei 10 von 10 Reizpunkten ruhig bleibst – wer wärst du dann?

 

Ich stell mir diese Fragen, wenn ich merke, dass mein Inneres zu laut wird. Wenn ich meine Frau anschnauze, weil ich mit einem Projekt unzufrieden bin. Wenn ich meinen Sohn anmotze, weil mein Kalender überläuft. Dann weiß ich: Ich muss zurück. Zu mir. Sonst verliere ich sie. Und mich.

Wenn du führen willst, fang bei dir an.
Wenn du jemanden kennst, der diesen Text gerade braucht – schick ihn weiter.
Wenn dich eine Frage trifft, dann bleib bei ihr.
Und wenn du auf dieser Reise erkennst, dass du dich selbst gerade verlierst – dann hol dir Hilfe.

Ich tue das auch. Immer wieder. Weil ich weiß: Hoffnungsträger sein heißt nicht perfekt sein. Es heißt, ehrlich mit sich selbst zu bleiben. Und den Mut zu haben, sich selbst nicht aus dem Blick zu verlieren.

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PS: Heute habe ich den Motorradfahrer aus Italien, dem ich das Ticket auf der Fähre bezahlt habe, in einer Baustelle wieder getroffen. Echte Momente verbinden.

Ben Schulz
Autor: Ben Schulz

Ben Schulz ist Sparringspartner für Geschäftsführer und Führungsteams in klein- und mittelständischen Unternehmen, wenn es um deren Strategie und Transformationsprozessen geht. Der Vorstand des Beratungshauses Ben Schulz & Partner AG legt den Schwerpunkt seiner Tätigkeit, gemeinsam mit seinem Team, auf die Schwerpunkte Unternehmensleitbildentwicklung, Kulturwandel, Führungskräfteentwicklung und strategischen Unternehmersparrings, bei denen es um die Steigerung von Perfomance geht.

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