Die lange Bank ist nicht gemütlich
Wenn etwas nervt, wird es in der Regel erstmal auf die lange Bank geschoben. Und dann ist auch jede Ausrede und Ablenkung recht, die dafür sorgt, dass dieses Thema immer weitergeschoben wird. Habe ich zum Beispiel keinen Bock die Bude zu putzen, dann schmeiß ich den Grill an. Autor Nir Eyal beschreibt das in seinem Buch „Die Kunst, sich nicht ablenken zu lassen“ wie folgt: Warum wir uns ablenken, hat verschiedene Gründe. So gibt es unterschiedliche Trigger, wenn wir etwas nicht tun wollen. Vor allem kommt das in Situationen auf, die mit „Schmerz“ verbunden sind. Wissen wir, dass wir uns dafür Mühe geben müssen, es unbequem ist und Konsequenzen entstehen, wird es erstmal aufgeschoben. Umso besser, wenn dann auch noch externe Ablenkungen kommen: Eine neue E-Mail, ein Anruf oder der Kollege, der ins Büro kommt.
Laut Experten sorgt das ständige Aufschieben von Dingen nicht nur dafür, dass wir hinter unseren Möglichkeiten bleiben, sondern es kann sogar krank machen. Das belegt eine kürzlich veröffentlichte Studie von Forschern rund um Fred Johansson von der Sophiahemmet University in Stockholm. Diese fanden heraus, dass Aufschieberitis mit einem schlechteren psychischen und körperlichen Gesundheitszustand zusammenhängt und zu Depressionen, Ängsten, Stress und einem allgemein schlechteren Lebensstil führt. Das Aufschieben ist eine regelrechte Volkskrankheit, die auch vor Führungskräften nicht Halt macht. Laut einer repräsentativen Umfrage des Sinus-Instituts aus dem Jahr 2018 würden sich rund zwei Drittel aller befragten Deutschen als Aufschieber bezeichnen. Wenn dadurch dann alles die lange Bank hinunterfällt, ist es meist schon zu spät … was also tun?
Disziplin und Prioritäten
Wie oft höre ich: „Ich kann nicht!“ Wer das sagt, liefert eine Bankrotterklärung an seine Persönlichkeit ab. „Ich kann nicht“, bedeutet immer „ich will nicht“ – zumindest in den meisten Fällen. Sie können mit Sicherheit eine E-Mail schreiben, ein Gespräch führen oder eine Vereinbarung einhalten. Beim Nicht-Wollen fehlt es einfach an Motivation, Disziplin oder Prioritäten. Wir leben heute in einer Gesellschaft des Disziplinverfalls, die sich auch auf Unternehmen auswirkt. Alle Abmachungen bleiben als reine Theorie auf dem Papier, und viele Maßnahmen, die zur Erreichung der Ziele führen sollen, enden schließlich in der Schublade.
Was Disziplin heißt und wie es geht, Prioritäten zu setzen, möchte kurz am Beispiel des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Thomas Mann erklären. Er legte eine Arbeitsdisziplin an den Tag, von der sich viele eine Scheibe abschneiden können. Jeden Tag schrieb er von neun bis zwölf Uhr an seinem jeweiligen Roman. Dies tat er immer, egal wo er war oder welche Umstände herrschten. Als England und Frankreich 1939 dem Deutschen Reich den Krieg erklärten, war Thomas Mann auf einer Reise durch Schweden und notierte in sein Tagebuch: „Ich schreib meine Seiten wie gewohnt.“ Als er 1941 nach Kalifornien zog, räumten die Möbelpacker seine Wohnung, während er im Schlafzimmer wie immer an seinem Roman schrieb. Bei ihm gab es keine Ausreden, kein „ich kann nicht“ und erst recht kein „ich habe keine Zeit.“
Apropos Zeit. Die ist nach wie vor der Klassiker unter den Ausreden. Doch Zeit haben wir alle. Was wir damit im Grunde sagen wollen ist, dass etwas anderes wichtiger war. In dem Moment, wo wir glauben keine Zeit zu haben, haben wir in Wirklichkeit keine Lust oder priorisieren etwas anderes. Banal gesagt: rufen zwei Menschen Sie zur gleichen Zeit an oder wollen am gleichen Tag einen Termin, entscheiden Sie sich für den, der wichtiger ist. Und nochmal zum Punkt: Natürlich können Sie mit beiden Personen reden, aber Sie wollen das nur mit einer. Während das Können unsere individuellen Fähigkeiten, Erfahrungen und Fachkenntnisse ausmacht, zielt das Wollen auf unsere persönlichen Motive, Bedürfnisse und Ziele ab. Ungemütlich wird es, wenn beides nicht zusammenpasst, wenn wir „können“ – aber nicht „wollen“.