In der Zeitenwende, in der wir leben, können wir schnell denken, dass VUCA ein alter Hut ist. Und ja, das Thema gibt es nicht erst seit gestern – fast täglich hört oder liest man in den letzten Jahren, sogar Jahrzehnten über VUCA. Sei es in Bezug auf Führungskonstellationen, Organisationsstrukturen usw. Doch was heißt das wirklich? Verstehen Inhaber:innen, Unternehmer:innen und Führungskräfte, was VUCA im Kern bedeutet? Ist es eine Methode, eine Analyse, wo lässt es sich einordnen? Als Walter Kohl und ich im Vorfeld für unseren Podcast zu diesem Thema gesprochen haben, entstanden neue Ansätze rund um VUCA.
Was ist VUCA nochmal?
Das Akronym VUCA ist bereits in den 90er-Jahren entstanden und setzt sich wie folgt zusammen: V – volatility (Volatilität), U – uncertainty (Unsicherheit), C – complexity (Komplexität) und A – ambiguity (Mehrdeutigkeit). VUCA stammt aus einer Zeit, in der der Rahmen, in dem man sich bewegt, massiven Veränderungen unterworfen war. Dadurch entstanden die einzelnen Begriffe, die in VUCA zusammengeführt wurden. Auch heute erleben wir enorme Veränderungen und die Realität ist wie sie ist, ob wir das wollen oder nicht. Bereits vor der Pandemie haben sich Unternehmer:innen mit Themen wir Instabilität, Komplexität oder Ähnlichem beschäftigt, aber die Notwendigkeit sehr gezielt hinzuschauen, war noch nicht so groß. Alles fand mehr auf der Metaebene als im Konkreten statt. Eher theoretisch als praktisch. Oder man hat es sogar bewusst komplett ausgeblendet, weil in guten Zeiten s nicht notwendig war, sich mit kritischen Themen auseinanderzusetzen.
Normalität ist in weite Ferne gerückt
Die Komplexität und die gleichzeitige Unsicherheit sind heute deutlich höher als früher. Noch immer waren bis vor Kurzem einige der Meinung, dass sich nach der Pandemie alles wieder normalisiert. Doch nach den vergangenen Wochen ist wohl jedem klar, dass Normalität in weite Ferne gerückt ist. Viele können nur noch „auf Sicht“ planen und mittlerweile ist allen bewusst, dass es so nicht weitergehen kann. Wir müssen uns jetzt mit dem Mindset und der Haltung, die in der VUCA-Thematik steckt, auseinandersetzen. Was früher vielleicht noch als schönes Image-Aushängeschild galt, ist jetzt ein Brennpunkt. Ein Thema, über das man mal hier und da gesprochen hat und sich auch vom schönen Glanz blenden ließ. Hinzu kam eine gewisse Bequemlichkeit, zu der Menschen von Natur aus neigen. Das Gewohnte lief immer gut, warum also etwas ändern – doch damit ist jetzt Schluss. Wir werden von enormen Kräften getrieben, von einer Schnelligkeit in der Veränderung, die bis dato niemand kannte. Eine drei Jahresplanung lässt sich heute nur noch teilweise realisieren. Statische Planungen haben ausgedient, wir müssen mehr in die aktuellen Gegebenheiten einsteigen – und das ist die große Herausforderung vor der Unternehmer:innen stehen.
Alte Strategien lösen keine neuen Probleme
Die vergangenen zwei Jahre haben deutlich gezeigt, dass alteingesessene Strategien, die früher funktionierten, nicht mehr greifen. Aus Bequemlichkeit zu sagen, dass man auf bisherige Erfahrungswerte und Mechanismen baut, um die Probleme von heute zu lösen, ist eine katastrophale Fehleinschätzung. Alte Strategien lösen keine neuen Probleme! Das heißt auch, raus aus der Komfortzone und eine andere Perspektive zu bestimmten Themen einnehmen. Das setzt voraus, ehrlich zu sich selbst zu sein. Insbesondere Entscheider:innnen und Unternehmer:innen, die andere Menschen führen und als Prellbock gegenüber Kunden, Lieferanten, Banken usw. dienen, müssen sich selbst reflektieren. Wenn man offen und ehrlich zugeben kann, dass man die Zukunft nicht vorhersehen kann und als Chef:in nicht immer richtig liegt und nicht alles besser weiß, aber trotzdem die Führung übernimmt, entsteht ein ganz neuer Umgang miteinander. Wenn wir über die VUCA-Herausforderung sprechen, dann fängt es auch immer bei einem selbst an – nicht bei der Führung einer Organisation oder anderer Menschen, sondern bei der Selbstführung. Dieses Thema ist vielen jetzt auf die Füße gefallen.
VUCA neu gedacht
Einen sehr interessanten Ansatz liefert Walter Kohl, der VUCA mit neuen Begriffen eine neue Bedeutung gibt. Aus Volatilität wird Vision, aus uncertainty wird understanding (Gesamtheit). Aus complexity wird clearity (Klarheit) und aus Ambiguität wird Anpassungsfähigkeit und Agilität. Aus diesem Ansatz heraus entsteht in vielen Dinge eine erste Orientierung, sowohl für einen selbst als auch für das Unternehmen.
Vision schafft Vertrauen
Blicken wir auf den ersten Punkt „Vision“, stellt sich ganz klar die Frage, wie Führungskräfte oder Inhaber:innen ihre Vision definieren und formulieren. Hier spielen auch die Punkte Sinnhaftigkeit und Purpose eine große Rolle – das eigene Warum und das des Unternehmens. Darüber hinaus geht es um die Frage nach dem Wofür. Wofür sind wir da?
Eine Vision muss kein ellenlanges Manifest sein, sondern eine Vision ist eine Richtung, eine Orientierung und soll wie ein Magnet anziehend auf andere wirken. Sie zeigt die zentrale Bedeutung und den Fokus. Sie zeigt das Ziel, das Unternehmer:innen verfolgen. Das impliziert, richtungsweisend zu sein und Verantwortung zu übernehmen. In der Vergangenheit hatte man oft den Eindruck, dass sich gerade der Mittelstand damit schwertut. Immer wieder wurden gerne große Unternehmensberatung en an Bord geholt. Auch wenn man den Eisberg vor sich sah, wollten die Führungskräfte im Endeffekt keine Entscheidungen treffen, wie dieser umfahren werden soll. Das überließ man lieber der Unternehmensberatung , denn wenn es knallte, konnte man es dieser zuschieben und musste nicht selbst die Verantwortung tragen.
Doch jetzt gilt es wieder, selbst Verantwortung zu übernehmen, auch wenn niemand sagen kann, ob der Weg, den das Unternehmen einschlägt, am Ende der richtige ist. Hier spielen auch die Themen Anpassungsfähigkeit und Agilität eine Rolle. Trotz einer Richtung sollte man aufmerksam und wachsam bleiben, ob nicht eine Kursänderung besser ist, zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden müssen oder Dinge von Bord geworfen werden sollten. Die Vision ist klar und schafft Vertrauen, der Weg dorthin ist flexibel und lässt sich unter Umständen anpassen. Ein weiterer positiver Aspekt einer klaren Vision ist, dass sich Mitarbeitende schon längst nicht mehr nur mit einer Organisation identifizieren wollen, sondern auch mit einer Person – und dieser wollen sie vertrauen. Das gelingt nur mit einer Vision, mit Sichtbarkeit und mit Verantwortungsübernahme.
Die Gesamtheit erkennen
Diese Gesamtheit ist die Grundlage von Vertrauen. Die meisten Mitarbeitenden übernehmen funktionale Aufgaben im Unternehmen. Sie sind im Vertrieb, Einkauf, in der Produktion oder Buchhaltung tätig. Wie Matrosen auf einem Schiff müssen sie auf die gesamtheitliche Führung der Kapitäninnen und Kapitäne vertrauen, die das Unternehmen durch stürmische Gewässer leiten. Und wenn man das Bild aus Vision und Gesamtheit aufgreift und die Punkte Anpassungsfähigkeit und Agilität zusammen anpackt, entsteht hier der vierte Punkt, nämlich Klarheit. Und Klarheit ist das, was wir uns alle wünschen.
Klarheit – im Unternehmen als auch der Lebensplanung
Für viele Führungskräfte ist es sehr belastend, permanent nur auf Sicht fahren zu können, weil der Horizont in diesen Zeiten im Nebel liegt. Ich stelle in meinen Beratungen der letzten Monate fest, dass viele Menschen sehr orientierungslos sind, weil sie keine Klarheit haben und nicht wissen, wie sie entscheiden sollen. An dieser Stelle wirft Walter Kohl zwei Fragen auf, die fast schon mit der Brechstange Klarheit bringen sollen. Die erste zielt auf Kurzfristigkeit im VUCA-Nebel ab: Was würden Sie tun, wenn Sie in 100 Tagen Ihr Unternehmen verkaufen wollten? Wie sähen die nächsten Schritte aus? Die zweite Frage ist auf lange Sicht ausgelegt: Wo soll die Firma heute in zehn Jahren stehen? Welche Entscheidung würden Sie heute in zehn Jahren, also 2032, als richtig empfinden? Mit diesen beiden Fragen kommt man enorm weiter, weil man die Situation abstrakt betrachten kann. Zudem lassen sich aus der ersten Frage konkrete Schritte ableiten und aus der zweiten eine Vision, die eine Perspektive für die nächsten zehn Jahre aufzeigt.
Ein zweiter Aspekt, der hier mitspielen kann, ist, wenn Sie diese Fragen auf sich als Person beziehen. Wie sieht Ihre Lebensplanung aus? In den nächsten 100 Tagen oder in den nächsten 10 Jahren? Ich selbst frage meine Kund:innen gerne, wie alt sie werden möchten und wie lange sie noch mit dem Tempo, mit dem sie gerade arbeiten, weitermachen wollen. Im Schnitt sind das ungefähr 20 Jahre. Was wollen Sie in diesen Jahren noch alles gemacht haben? Was soll in dieser Zeitspanne passieren? Wie sollen die Rahmenbedingungen sein, in denen Sie dort leben? Und was bedeutet das Ganze für das Hier und Jetzt? Wenn Sie eine Lebensplanung machen –natürlich weiß niemand, was in 10, 20 oder 30 Jahren sein wird – aber nehmen wir an, wir könnten das, wie sähe das aus?
Oder um es mit den Worten von Walter Kohl zu sagen: „Ich finde die Verbindung von Unternehmen auf der einen Seite und der persönlichen Dimension auf der anderen Seite wichtig – unter der klaren Prämisse: Ich darf und ich betone das Wort, ich darf mein Leben zu Ende denken, ich darf mein Leben zu Ende gestalten. Und diese Freiheit trotz aller Ärgernisse genießen.“