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Die Lernkurve ist keine Gerade

Bei manchen Menschen ist die Lernkurve eine flache Gerade ins Nichts. Wie steht es diesbezüglich um Führungskräfte, Manager*innen oder Vorstände – sprich um Menschen mit einer meist starken Persönlichkeit? Fassen sie nur einmal auf die heiße Herdplatte oder verbrennen sie sich öfter die Finger? Ich glaube, dass es Erfahrungen und Impulse im Leben gibt, die einen lehren, einen Fehler kein zweites Mal zu machen. Ich bin außerdem davon überzeugt, dass Menschen generell in der Lage sind, aus ihrem Erlebten und vielleicht auch aus dem eigenen Scheitern zu lernen. Der eine mehr, der andere weniger.
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Der Selbstständige, der darüber jammert am Anfang des Jahres Steuern bezahlen zu müssen oder das Unternehmen, das immer wieder an der gleichen Stelle ein Qualitätsproblem hat, packt sprichwörtlich immer wieder auf die heiße Herdplatte – die Lernkurve wird hier zur Geraden.

Ist denn schon wieder Weihnachten?

In unserem gemeinsamen Podcast greift Walter Kohl hierzu eine Geschichte aus seiner Vergangenheit auf. Als er in den 90er-Jahren im zentralen Controlling eines Handelskonzerns arbeitete, hörte er immer wieder den Spruch „Wir wurden vom Weihnachtsgeschäft überrascht.“ Sein Vorschlag der Geschäftsleitung doch Kalender zu schenken, damit sie sehen, wann Weihnachten ist, kam nicht unbedingt gut an. Für sich hat er daraus auch eine Lernkurve abgeleitet: Manchmal ist es besser still und nicht vorlaut zu sein. Dieses Beispiel führt uns allerdings zu einem Kernverhinderer der Lernkurve: dem Ego.

Je steiler das Ego desto flacher die Lernkurve

Eine starke Persönlichkeit zu haben ist in der Regel nicht negativ, wird aber dann zum Thema, wenn sie verhindert, dass man Probleme an sich heranlässt und sie als persönlichen Affront versteht. Darin steckt die Urproblematik, ob es zu einer Lernkurve kommt oder nicht. Es geht darum, die persönliche von der sachlichen Dimension zu trennen. Allerdings ist es so, dass das Ego oft mehr Gewicht hat als zum Beispiel die Worte eines Beraters und es erst zum Äußersten kommen muss, bis etwas passiert.

Menschen mit einer starken Persönlichkeit sind es gewohnt, die Dinge im Griff zu haben. Sie wollen Kontrolle und Einfluss nehmen. Da fällt es schwer, auch einmal zuzugeben, dass man auf die heiße Herdplatte gefasst hat und es schmerzhaft war. Niemand möchte gern zustimmen, gescheitert zu sein oder das Gefühl eines Gesichtsverlusts vor anderen erleiden. Oft wird dann in der Funktion von oben nach unten über die Hierarchie argumentiert – nach dem Motto: „Ich Chef, du nix“. Doch je steiler das Ego und je weniger man sich selbst Fehler eingestehen kann, desto flacher bleibt die Lernkurve.

Demut – eine Haltungsfrage

Persönlich und aus eigener Erfahrung glaube ich, dass wir mehr aus unserem Scheitern als unseren Erfolgen lernen. Doch um die Lernkurve hierfür zuzulassen, braucht es Demut. Und Demut braucht Mut – den Mut sich mit innerer Stärke vor ein Problem zu stellen. Das macht den Unterschied zwischen Autorität und autoritär. Autoritär ist, wenn ich als Führungskraft etwas auf Basis meiner Stellung durchsetze. Autorität hingegen ist die Fähigkeit, etwas aufgrund der eigenen Persönlichkeit, obwohl man nicht hierarchisch oder fachlich der Chef ist, zu bewegen.

Die Lernkurve hängt eng mit der Demut zusammen und ist immer eine Frage der Haltung. Es geht darum, bereit zu sein, Dinge zu lernen. In der aktuellen Lage fahren viele Unternehmer*innen, Inhaber*innen und Führungskräfte nur auf Sicht. Keiner weiß, in welche Richtung wir steuern, denn niemand hat diesbezüglich Erfahrungswerte. Das bedeutet, dass wir insbesondere in den nächsten Monaten eine Kultur der Offenheit brauchen, die es erlaubt Neues zu lernen.

Reflektieren, aber bitte richtig

Ein Aspekt, der bei der Lernkurve oft vernachlässigt wird, ist das Reflektieren. Ich erlebe oft starke Persönlichkeiten, die sich sehr schlecht reflektieren. Sie hören weder sich selbst noch anderen zu und sind stets auf das Machen ausgerichtet. Die Phase der Reflektion wird meist zusammengestrichen bzw. komplett ignoriert. Eine entscheidende Frage ist somit, wo die Lernkurve angesetzt wird.

Es beginnt damit, ein Problem sauber zu definieren. Meist geht das nicht über die Wirkung, sondern die Ursache. Zur Veranschaulichung möchte ich noch einmal auf ein Beispiel von Walter Kohl zurückgreifen. Immer wieder kommt es zu einem Qualitätsproblem an Maschine 44. Warum ist das so? Die erste Annahme ist, dass der Maschinenführer nichts taugt, aber dieser macht alles richtig. Es gibt allerdings ein Programm, das die Maschine einstellt und dieses kommt von einer ganz anderen Abteilung: der Konstruktion. Und da stellen wir fest, es gibt in der Konstruktion einen Fehler. Auch hier stellt sich wiederrum die Frage, woher dieser kommt. Es war eine Vorgabe des Kunden. Warum aber hat der Kunde das so gemacht? Es kommt heraus, dass der Kunde den falschen Release geschickt hat. Das heißt, die Lernkurve hier ist das Erkennen des Problems. Jeder im Unternehmen hat das Recht und auch die Pflicht, nach dem Warum zu fragen. Die Lernkurve, die daraus entsteht, ist, dass man schneller erkennt, worin das eigentliche Problem besteht und damit umgehen kann.

Die Frage macht den Unterschied

In jedem Unternehmen, in jedem Team kommt es zu Fehlern. Ich habe Unternehmenskulturen erlebt, in denen es üblich war, dass der Vorgesetzte das Team dann rundgemacht hat – es gab ordentlich Manöverkritik. Sätze wie „Ich erwarte, dass das nicht noch einmal passiert“ sind dabei üblich. Was aber wäre, wenn die Führungsperson, die Kritik das nächste Mal mit nur einer Frage äußert, und zwar „Was müssen wir tun, damit dieser Fehler beim nächsten Mal nicht wieder passiert?“ Manche Menschen in Führungsrollen meinen, wenn sie einmal ordentlich auf den Tisch hauen oder sogar Sanktionen aussprechen, alles wieder funktioniert. Aber dadurch wird eine Weiterentwicklung verhindert. Um eine Lernkurve zu erzielen, müssen die Fragen lösungsorientiert sein. Kurz gesagt, was haben wir von der Frage „Warum sind alle hier doof?“ Nichts. Von einem „Was können wir tun, damit das nicht noch einmal passiert, bzw. damit es besser wird?“ profitieren wir hingegen. 

Ist die Lernkurve gewollt?

Es ist eine Frage der Unternehmens-, Kommunikations- und auch Führungskultur eine Haltung an den Tag zu legen, die es erlaubt eine Lernkurve zu entwickeln. Die Unternehmenskultur zeigt vielerorts, ob eine Lernkurve überhaupt gewollt ist und gefördert wird. Organisationen, die eine Lernkurvenkultur vorweisen sind meist auch die, die vorne mit dabei sind, die schnell handeln, wenn es um Produktinnovationen oder um Änderungen im Marktumfeld geht. Darüber hinaus entsteht ein Teamspirit, der aus vielen Individualisten eine Mannschaft macht, die sich selbst weiterentwickeln möchte.


 

Fazit – weg vom Ego hin zur Lernkurve

Menschen machen Fehler. Die meisten fassen im Leben nicht nur einmal auf die heiße Herdplatte. Dabei spielt es keine Rolle, ob Angestellte oder Führungskraft. Doch wenn daraus eine Lernkurve entstehen soll, dann müssen wir das eigene Ego beiseitestellen und mit Demut das eigene Scheitern anerkennen, um daraus für die Zukunft zu lernen.


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