Fokus – ausnahmsweise erlaubt

Neulich stand ich wieder in einer Hotellobby. Der Kaffee war gut, die Räumlichkeiten hell und freundlich. Und dann kam die Verstörung: die Herrentoilette. Das typische Bild, das wir kennen. Vor den Urinalen ein Boden, der aussieht, als hätte der letzte Gast eine alte Kriegsverletzung. Jeder kennt es. Man weiß gar nicht wo man hintreten soll. Und jedes Mal denke ich: Hallo? Wie wäre es denn mal mit etwas mehr Fokus?

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Physikalische Untersuchungen sagen: Das Problem sind keine „falsch eingepackten“ Männer, sondern Spritzer, falsche Winkel und fehlendes Zielbild. Deshalb funktioniert die kleine Fliege im Urinal. Bis zu 80 Prozent weniger Spritzer. Weil plötzlich jeder weiß, wohin er zielen soll.

Und da frage ich mich: Warum schaffen wir es, im Toiletten-Design mehr Fokus zu erzeugen als in so mancher Führungsetage?

Zielbild gesucht – Wirkung verpasst

Viele Führungskräfte, mit denen ich arbeite, haben kein klares Zielbild. Sie hören zwar das Rauschen der Märkte, die Strömungen im Team, die Erwartungen von Kunden – aber sie übersetzen das nicht in eine klare Linie. Stattdessen werden operative Details verwaltet, Prozesse gepflegt, Berichte produziert. Ergebnis: ein Boden voller Spritzer.

„Konzentration auf Weniges“. Klingt banal, ist aber der Schlüssel zur Wirksamkeit. Wer überall gleichzeitig hinschießt, trifft nirgendwo.

Und genau da liegt das Problem: Führungskräfte im Mittelstand verlieren sich oft in Nebenschauplätzen. Sie springen zwischen Sitzungen, Excel-Tabellen und Mitarbeitergesprächen. Aber sie führen nicht.

Fokus beginnt bei dir selbst

In meinem Buch „Führungskräfte als Hoffnungsträger“ gehe ich im Kapitel über Selbstführung auf genau diesen Punkt ein. Wie willst du andere ausrichten, wenn du selbst keinen klaren inneren Kompass hast? Es ist bequem, im Dauerrauschen der Permakrisen zu behaupten, man habe keine Zeit für Selbstreflexion. Aber das ist eine Ausrede. Der Preis dafür ist hoch: Erschöpfte Teams, Orientierungslosigkeit, Entscheidungen auf brüchigem Fundament.

Wenn du morgens das Büro betrittst und noch bevor du „Guten Morgen“ sagst schon in drei operative Baustellen gezogen wirst, dann führst du nicht – dann wirst du herumgeschubst. Wer so in den Tag startet, ist längst Spielball des Tagesgeschäfts. Fokus? Fehlanzeige. Und genau deshalb verlieren viele Chefs den Respekt ihrer Leute: Sie wirken beschäftigt, aber nicht wirksam.

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Die Fliege im Urinal

Das kleine Insekt im Porzellan ist mehr als eine nette Anekdote. Es ist ein Symbol für das, was Führung leisten muss: ein klares, sichtbares Ziel. Menschen brauchen Orientierung. Sie brauchen ein Bild, das sie ansteuert. Sonst verläuft die Energie im Raum.

In unseren Projekten sehen wir immer wieder: Unternehmen mit einem gelebten Leitbild mit klaren Führungsprinzipien haben mehr Fokus, mehr Zusammenhalt, mehr Strahlkraft. Unternehmen ohne diese hinterlassen Chaos – wie ein Boden voller Spritzer. Und jetzt Hand aufs Herz: Kennen Ihre Mitarbeitenden wirklich das Zielbild? Oder starren sie ins Leere?

Der fatale Irrtum: alles selbst kontrollieren

Viele Führungskräfte versuchen, den fehlenden Fokus durch Kontrolle zu ersetzen. Sie meinen, wenn sie jeden Prozess selbst anfassen, käme am Ende das richtige Ergebnis heraus. Ein Trugschluss. Wer alles kontrolliert, hat keinen Kopf mehr für das Wesentliche. Wer nicht delegiert, verbrennt seine eigene Energie und raubt den Mitarbeitenden jede Eigenverantwortung. Und dann wundern sich dieselben Führungskräfte , warum das Team passiv wird. Fokus heißt: Verantwortung abgeben. Und gleichzeitig klar machen, worauf es wirklich ankommt.

Hoffnung statt Spritzer

Vielleicht klingt der Vergleich vulgär. Aber für mich steckt darin eine brutale Ehrlichkeit: Führen heißt, den Strahl auszurichten. Ohne Zielbild, ohne klares „Wofür“, bleibt nur ein chaotisches Muster.

In „Führungskräfte als Hoffnungsträger“ beschreibe ich im Kapitel „Konzentration aufs Wesentliche“ , dass Hoffnungsträger eben nicht alles auf einmal machen. Sie wissen, wo ihr Einflussbereich ist – und dort handeln sie entschlossen. Und das ist die Essenz: Hoffnung entsteht durch Klarheit. Durch den Mut, Ballast abzuwerfen. Durch die Disziplin, sich nicht ablenken zu lassen.

Meine eigenen Kämpfe mit dem Fokus

Glaub mir: Ich kenne die Versuchung, alles gleichzeitig anzupacken. Als Unternehmer, Berater, Ehemann, Vater. Es gibt Tage, da verzettle ich mich. Da verliere ich die klare Linie. Und dann merke ich, wie schnell Energie verpufft.

Gerade in Krisenzeiten habe ich gelernt: Weniger ist mehr. Ich musste mich zwingen, „Nein“ zu sagen. Projekte abzubrechen. Mich neu auszurichten.

Und ja, das hat wehgetan. Aber genau da lag der Durchbruch. Fokus heißt auch Verzicht. Und dieser Verzicht schafft Raum für Wirkung.

Also,

lieber Geschäftsführer und Führungskraft: Wo sind Ihre Spritzer? Wo verlieren Sie Energie, weil der Fokus fehlt?

Wenn Sie es ernst meinen mit wirksamer Führung, dann stellen Sie sich drei Fragen:

  1. Was ist mein Zielbild – für mich, mein Team, mein Unternehmen?
  2. Wo verschwende ich Energie, weil ich mich verzettle?
  3. Wo fehlt mir der Mut, Ballast abzuwerfen?

Wenn du beim Lesen jemanden im Kopf hast, der diesen Denkanstoß gerade gebrauchen kann, schick den Text bitte weiter. Vielleicht ist das der erste kleine „Fliegenpunkt“, der den Fokus zurückbringt.

Denn eines ist sicher: Ohne Fokus bleibt Führung nur ein chaotisches Muster. Mit Fokus aber entsteht Strahlkraft. Und genau die braucht der Mittelstand heute dringender denn je.

Ben Schulz
Autor: Ben Schulz

Ben Schulz ist Unternehmer, Autor, Redner und Consultant für Geschäftsführer und Führungsteams in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Der Vorstand des Unternehmensberatung Ben Schulz & Partner AG legt den Schwerpunkt seiner Tätigkeit, gemeinsam mit seinem Team, auf die Schwerpunkte Unternehmensleitbildentwicklung, Kulturwandel, Führungskräfteentwicklung und strategischen Unternehmersparrings, bei denen es um die Steigerung von Perfomance geht.

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