Eine aktuelle Metaanalyse der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zeigt: Beschäftigte kündigen vor allem wegen Überarbeitung und Stress, fehlender Entwicklungsmöglichkeiten und Problemen mit Führungskräften (Hommelhoff, S. et al. (2025): Journal of Vocational Behavior, DOI: 10.1016/j.jvb.2025.104099). Die Studie schaut auf die Perspektive der Mitarbeitenden. In meinen Beratungsprojekten erlebe ich die andere Seite: Führungskräfte, die aus Angst vor Konflikten Personalentscheidungen hinauszögern – und damit genau die Bedingungen schaffen, die solche Kündigungen am Ende wahrscheinlicher machen. Schlechte oder inkonsequente Führung ist also nachweislich ein Kündigungstreiber – auch wenn viele dieser Gründe im offiziellen Gespräch gar nicht benannt werden. Zögern wegen Harmoniebedürfnis. Angst vor Ablehnung. Unklare rechtliche Folgen. Die perfekte Mischung, um eine Führungskraft lahmzulegen.
Die Schnapphemmung, die keiner zugibt
Ich erinnere mich an Martin, Produktionsleiter. Hart im Ton. Klar in der Sache. Bis ein Mitarbeiter dauerhaft Grenzen sprengte. Da wich er aus. Er redete. Und redete. Und redete. Alles, um die eigentliche Entscheidung zu vermeiden. Ich fragte ihn damals: „Für wen führst du gerade? Fürs Team? Oder für deine Angst vor dem Konflikt?“ Sein Schweigen war Antwort genug. Genau hier liegt der Kern. Die meisten Führungskräfte sind nicht inkonsequent, weil ihnen Mut fehlt. Sondern weil sie sich selbst schützen wollen. Vor Blicken. Vor Emotionen. Vor der eigenen Verletzlichkeit.
McKinsey nennt es mangelndes Training. Ich nenne es Selbstführungslücke. Und ja, die kenne ich aus meinem eigenen Leben nur zu gut. Auch nach zwanzig Jahren Unternehmertum gibt es Entscheidungen, die ich am liebsten outsourcen würde. Weil sie mich zwingen, mich selbst anzuschauen - ohne Ausreden.
Konsequenzvermeidung frisst Teams von innen auf
Während eine Führungskraft zögert, rutscht das Team leise den Berg hinunter. Nicht sofort. Aber stetig. Leistungsstarke Mitarbeitende ziehen sich zurück. Die Unzufriedenen werden lauter. Die Krankenstände steigen. Vertrauen bröckelt. Die Produktivität fällt. Wissenschaftliche Analysen sprechen von bis zu siebzig Prozent Einbußen. Ich habe Teams erlebt, die nach Monaten des Schweigens komplett kollabierten. Nicht wegen einer schlechten Entscheidung. Sondern wegen keiner. Und das Tragische daran: Die Führungskraft merkt es oft als Letzte. Weil man in der Hoffnung lebt, dass sich alles von allein einrenkt. Hoffnung ist gut. Hoffnung ist wichtig. Aber ohne Klarheit wird sie zur Selbsttäuschung. Deshalb spreche ich im Führungsprinzip Hope & Trust Leadership so oft über diese gefährliche Grauzone.
Hoffnung plus Konsequenz. Vertrauen plus Haltung. Erst dann entsteht Führung, die trägt.
Die bequeme Lüge: „Ich will fair bleiben“
Viele Mittelstandslenker erklären ihre Zurückhaltung mit Fairness. Mit Menschlichkeit. Mit Loyalität. Klingt gut. Ist aber oft nur die freundliche Verpackung für eine schlichte Wahrheit: Man scheut den Schmerz des Abschieds. Trennung ist unbequem. Sie kratzt am eigenen Selbstbild. Sie erzeugt Unruhe. Und sie zwingt uns dazu, Verantwortung zu übernehmen. Nicht nur für das Team. Auch für die Person, die geht. Doch was ist fairer? Einen Mitarbeitenden in einer Rolle zu halten, in der er scheitert? Oder ihn konsequent und respektvoll aus einer Situation zu lösen, die allen schadet?
Konsequenz ist keine Härte. Konsequenz ist Fürsorge. Der Arbeitsmarkt der Zukunft verlangt genau das. Nicht mehr weichgespülte Führung, die Konflikte umschifft. Sondern klare Entscheidungen, die Orientierung geben.
Die unbequeme Wahrheit: Du riskierst viel mehr durch Zögern
Schlechte Führung ist einer der häufigsten Kündigungsgründe. Die große Metaanalyse der Uni Erlangen listet sie auf Platz drei. Mitarbeiter verlassen Unternehmen, weil destruktives Verhalten folgenlos bleibt. Weil Regeln nur auf dem Papier existieren. Weil Vertrauen verpufft, wenn Führungskräfte wegschauen.
Die Kosten für Fluktuation? Zwischen neunzig und zweihundert Prozent eines Jahresgehalts. Die emotionale Bindung des Teams? Zu siebzig Prozent abhängig von der direkten Führungskraft. Diese Zahlen sind kein Alarmismus. Sie spiegeln die Realität im Mittelstand. In Stadtwerken. In Maschinenbauhallen. In Werkstätten und Konstruktionsbüros.
Konsequentes Handeln ist kein Luxus. Es ist der Unterschied zwischen Fortschritt und Stillstand.
Die innere Schwelle: Wo du dir selbst begegnest
In meinem Buch beschreibe ich ein Kapitel, das ich manchmal verfluche. Weil es mich zwingt, ehrlich zu sein. Ich nenne es die innere Schwelle. Die Stelle, an der du nicht mehr über Mitarbeitende nachdenkst, sondern über dich selbst. Über deine Motive. Deine Ängste. Deine Ausflüchte. Genau an dieser Schwelle kippen Personalentscheidungen. Zum Guten. Oder zum Schlechten. Hier entscheidet sich, ob du Führungskraft bist. Oder Konfliktvermeider. Ob du Hope & Trust Leadership lebst. Oder nur zitierst.
Vielleicht sitzt du gerade mit einem Fall auf dem Tisch, der dir seit Wochen Bauchschmerzen macht. Vielleicht spürst du schon länger, dass eine Entscheidung überfällig ist. Vielleicht weißt du, dass dein Team dir längst zusieht. Dann stell dir eine Frage, die schärfer wirkt als jede juristische Checkliste: Würde ich mir selbst folgen? Würde ich mir als Führungskraft vertrauen?
Wenn die Antwort Nein lautet, hast du die Entscheidung längst getroffen. Nur der Mut fehlt noch.
Der Moment
Konsequentes Handeln bedeutet nicht, jemanden fallen zu lassen. Es bedeutet, die Verantwortung wieder dorthin zu tragen, wo sie hingehört. Zu dir. Nicht um hart zu sein. Sondern um Haltung zu zeigen.
Ich weiß, wie schmerzhaft dieser Moment sein kann. Doch ich weiß auch, wie befreiend er ist. Für das Team. Für die Kultur. Und für dich.
Die Schnapphemmung löst sich nicht von allein. Sie löst sich erst, wenn du die Hand hebst. Und wirklich führst. Hope & Trust Leadership ist kein Motto.
Ein Versprechen an dich selbst.