Beim Blick in die Unternehmen stehen oft die Mitarbeitenden im Mittelpunkt. Wir sprechen darüber, wie wir sie motivieren, ob wir ihnen genug Wertschätzung entgegenbringen oder ob sie ausreichend Möglichkeiten zur Entfaltung haben. Teilweise werden sie mit Samthandschuhen angefasst, so dass ja alles läuft, wie es sich die Mitarbeitenden wünschen. Selbstverständlich sollen die Menschen in Unternehmen die besten Bedingungen vorfinden, um ihrer Arbeit nachgehen zu können. Doch selbst, wenn darüber hinaus versucht wird, viel für die Mitarbeitenden zu tun, wird es teilweise nur belächelt, als selbstverständlich angesehen oder mit dem Mindestmaß abgegolten. Das zeigt der jetzt seit längerem diskutierte Trend des „Quiet Quitting“ oder zu gut deutsch „stilles Kündigen“. Das bedeutet, dass die Mitarbeitenden nur noch das leisten, für das sie bezahlt werden. Im Grunde kennen wir dieses Konzept längst als „Dienst nach Vorschrift“. Die Arbeitnehmenden tun also nur das, was sie tun müssen – keine Überstunden und nichts, was nicht explizit in den Aufgabenbereich fällt oder im Arbeitsvertrag festgehalten wird.
Minimum, Forderungen und Fehler
Doch warum erlebt der Dienst nach Vorschrift jetzt durch Quiet Quitting ein virales Revival? Vor allem unter jungen Leuten? Laut einer Umfrage von Yougov würden 56 % der Deutschen kündigen, wenn es finanziell möglich wäre, 46 % in Teilzeit wechseln, wenn sie dürften und 76 % sind für eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Kurz gesagt: Die Leute haben immer weniger Lust zu arbeiten. Woher kommt das? Nun zum einen ist die Arbeit anspruchsvoller geworden und verlangt uns mehr ab als noch vor 10 oder 20 Jahren. Auch die Schnelllebigkeit und Unbeständigkeit unserer Zeit sind Belastungen, mit denen nicht jeder gelernt hat umzugehen, weshalb die Arbeit mehr Stress hervorruft. Auf der anderen Seite wollen die Menschen sich viel mehr ausleben und entfalten, was sie in ihren Berufen teilweise nicht können oder wollen. Außerdem fehlt den Menschen der Sinn in ihrer Arbeit, weshalb sie nicht mehr Zeit als nötig einsetzen wollen.
Natürlich gibt es Mitarbeitende, die für ihren Beruf brennen, sie gehen gerne eine Extrameile oder investieren mehr Zeit in Projekte, weil es ihnen wichtig ist und sie erkennen, warum sie das machen. Doch das ist heute leider nur ein kleiner Teil. Viel größer ist die Masse der Menschen, die eben keine Lust auf ihren Job haben. Und das lassen sie die Unternehmen auch spüren. Aber ist es wertschätzend, immer um Punkt 5 oder 6 den Stift niederzulegen, egal wie viel Arbeit noch übrig ist und egal, ob man später gekommen ist oder die Pause überzogen hat? Ist es wertschätzend, ständig Forderungen an die Führungskraft zu stellen und selbst nur das Minimum zu leisten? Ist es wertschätzend, auf Fehlern der Führungskraft rumzuhacken, obwohl man selbst auch welche macht?
Wertschätzung hat zwei Seiten
Verstehen Sie mich nicht falsch: niemand sollte sich zu Lasten seiner Gesundheit überarbeiten und Unternehmen müssen die Mehrarbeit und das Engagement ihrer Mitarbeitenden auch wertschätzen. Fakt ist allerdings auch, dass man eben nur bekommt, was man gibt. Sie können auch nicht einen Gurkensamen sähen und erwarten, dass ein Rosenbusch daraus wächst. Hart gesagt brauchen Mitarbeitende, die nur ihren Dienst nach Vorschrift leisten, nicht erwarten, dass sie mit neuen, spannenden Projekten betraut werden, ständig ungefragt Gehaltserhöhungen bekommen oder teure Weiterbildungen. Andersherum dürfen Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden nur das Mindeste geben, nicht erwarten, dass diese sich richtig ins Zeug legen. Nur zu geben funktioniert genauso wenig wie nur zu nehmen.
Win-Win statt Geben und Nehmen
Quiet Quitting ist weder ein neuer noch ein temporärer Trend. Doch mit einigen Stellhebeln lassen sich Kündigungen vermeiden und die Wertschätzung fördern.
- Purpose schaffen. Den ganzen Tag zu arbeiten, ohne zu erkennen, welchen Sinn und Zweck das Ganze verfolgt, sorgt für Frust. Es ist fast so, als würde man Ihnen auftragen, eine Woche lang Bleistifte zu spitzen, nur damit jeder im Unternehmen dann einen Kugelschreiber benutzt. Damit Wertschätzung entstehen kann, braucht es Sinn. Mitarbeitende müssen wissen, warum gerade ihre Tätigkeit wichtig für das Unternehmen ist und auch Führungskräfte brauchen einen Sinn, denn sonst führt der Blinde den Blinden.
- Grenzen erkennen und respektieren. Jeder Mensch hat Grenzen und diese fallen unterschiedlich aus. Viele Mitarbeitende und auch Führungskräfte sind durch einen zu hohen Workload, lange Krankenstände oder zu wenig Personal aktuell an ihrer Belastungsgrenze. Und das sollten sie auch kommunizieren. Nicht jede Aufgabe und jedes Projekt ist ein loderndes Feuer, das sofort gelöscht werden muss. Führungskräfte und Mitarbeitende sollten klare Prioritäten setzen und einhalten. Das zeugt von Wertschätzung.
- Jeder wie er möchte – Individualität schlägt Work-Life-Balance. Jeder Mensch sollte für sich selbst entscheiden, wie sehr er privates und berufliches trennen möchte. Man sollte bitte einem Menschen, der gerne arbeitet, keine Work-Life-Balance aufzwingen und einem, der Privat nichts von der Arbeit hören möchte, auch das erlauben. Es zeugt von Wertschätzung, wenn wir jeden Menschen so akzeptieren, wie er ist.
- Zuhören ist die Basis für eine starke Engagement-Kultur. Unternehmen müssen die Sorgen und Anliegen ihrer Mitarbeitenden und Führungskräfte ernstnehmen. Wer die Engagement-Kultur vorantreiben will, muss die Gründe kennen, warum Mitarbeitende sich nicht gänzlich engagieren. Und hier den Hebel ansetzen. Meist sind es sogar nur Kleinigkeiten, die dazu beitragen, dass die Mitarbeitenden Wertschätzung für das Unternehmen entwickeln und Unternehmen Wertschätzung für die Mitarbeitenden zeigen.
Alles in allem lässt sich sagen, dass Wertschätzung immer von beiden Seiten gelebt werden muss. Zeigen die Führungskräfte diese, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeitende bereit sind, mehr Engagement zu zeigen, um ein Vielfaches höher. Bringen auch Mitarbeitende den Unternehmen Wertschätzung entgegen, wird aus Geben-und-Nehmen ein Win-Win, von dem alle profitieren.