| Jutta Reichelt

Strahlkraft, Authentizität, Kreativität – und was eine gelbe Tüte damit zu tun hat

Die Aussagen über klassische Sandwichkinder trafen auch auf mich zu. In dieser Position ging es für mich oftmals um Schlichtung und Vermittlung, ich selbst stand eher im Hintergrund. Wie in vielen Familien wurde Leistung auch in meiner Familie großgeschrieben, weshalb ich meinen Fokus schon früh darauf auslegte. In meiner Jugendzeit und als junge Erwachsene trieb mich jedoch noch etwas anderes: die Angst. Ich hatte viele Befürchtungen, hielt mich im Hintergrund und andere schienen für mich meist wichtiger, besser oder auch mutiger zu sein. Meine Kritiker waren ganz weit vorne im Rennen um Selbstachtung, Selbstwertschätzung und Stärkenausbau. Damals wich ich schwierigen Situationen aus, anstatt mich ihnen zu stellen. Das änderte sich im Laufe meines Lebens allerdings deutlich.
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Die Reise zu mir selbst beginnt

In meinem Studium wurde mir das erste Mal bewusst, dass es so nicht weitergehen kann. Es war frustrierend zu sehen, dass mein Verhalten für Stillstand sorgte. Ich kam einfach nicht voran – der Wunsch, einen anderen Kurs einzuschlagen, entfachte zu einem Veränderungswillen. Also fing ich an, mich zu hinterfragen: „Weshalb denke ich so? Warum handle ich so? Und wieso handelt mein Umfeld genauso?“ Meine Reise in die Tiefen meines Selbst begann. Ein Mensch, der mich dabei sehr geprägt hat, war die Abteilungsdozentin an der Universität. Ich hatte früher ebenfalls eine ausgeprägte Autoritätsangst und sie war für mich damals die Autoritätsperson schlechthin. Ich konnte meinen Mund vor ihr nie aufmachen, hatte Schwierigkeiten mit dem Sprechen. Als ich ihr von meinen Befürchtungen erzählte, davor, dass ich Angst hatte mit ihr auf Augenhöhe zu sein, gab sie mir ein Feedback, das mich gravierend beeinflusste. Es half mir, über mich selbst hinauszugehen, offen und ehrlich zu sein und zu lernen, Feedback von anderen als Chance für Wachstum anzusehen.

Meinen Veränderungsprozess spürte ich nicht von heute auf morgen. Mit der Zeit merkte ich jedoch, dass meine Grenzen mich dazu verleiteten, sie auszuschöpfen und mich nicht vor ihnen zu verschließen oder im schlimmsten Fall den Rückweg anzutreten. In jeder Herausforderung sehe ich mittlerweile das Potenzial für Wachstum.  

Nach meinem Studium startete ich meine berufliche Karriere in einer Agentur. Auch hier reflektierte ich gemeinsam mit meinen Kollegen unseren Umgang mit den eigenen Grenzen. Es ging darum, unseren Ist-Zustand nicht als gegeben, sondern als flexibel und anpassbar anzusehen. Unter anderem auch dadurch, wurde ich zum echten Zugpferd in der Abteilung und war eine Säule für das Unternehmen, nicht nur wenn es um das fachliche Know-how, sondern auch um das passendere Miteinander ging. Doch nach wie vor spielte das Thema Angst eine Rolle in meinem Leben. Ich hatte Angst davor, Fehler zu machen und war darüber hinaus noch eine Ja-Sagerin. Ab einem gewissen Zeitpunkt machte mein Körper das nicht mehr mit und streikte – ich fiel für ein paar Monate aus. Für mich war klar, dass ich ins Unternehmen zurückwollte aber nur, wenn sich etwas verändert. Doch ich konnte das Unternehmen an sich nicht ändern, sondern nur mich selbst. Ich musste lernen, den Blick nach innen zu richten, um dadurch ganz automatisch mein Umfeld mit zu beeinflussen.

In meiner kleinen Auszeit aus dem beruflichen Alltag schmiedete ich für mich einen Plan. Auch wenn ich das Unternehmen per se nicht ändern konnte, so hatte ich doch die Anpassung meiner eigenen Situation in der Hand – mit dem Ziel, dass meine Bedürfnisse als Mitarbeiterin letztendlich mit denen des Unternehmens in Einklang stehen können. Neben meiner beruflichen Ausbildung zur systemischen Beraterin beschäftigte ich mich mit der Philosophie der Agilität und der agilen Methode Kanban. Was würde passieren, wenn wir als Experten selbst für unser Umfeld verantwortlich sind und Schritt für Schritt unseren Arbeitsalltag so verbessern, dass unsere Ergebnisse deutlich davon profitieren? Was bedeutet echte Teamarbeit und was braucht es dafür? In meinem Job habe ich immer viel geleistet und nach meinem Ausfall sollte es ein ruhigerer Wiedereinstieg werden. Doch bereits nach vier Wochen verpuffte der Effekt und es hieß wieder: Ab in den nächsten Pitch. Ich drückte auf die Bremse und stellte klar, dass wir es so machen können aber diesmal zu meinen Bedingungen. Die damit verbundene Anstrengung und große Veränderung zahlten sich aus. Wir gewannen als Team den Pitch und waren glücklich über unsere starke Teamarbeit auf Augenhöhe. Natürlich waren wir nach Abgabe k.o., doch diesmal empfanden wir es als positiv. Jeder trug mit seinem Potenzial zum Erfolg bei. Fehler, die im Team gemacht wurden, wurden gemeinschaftlich gelöst. Diese echte Teamarbeit machte trotz Anstrengung einfach enormen Spaß.

Die Emotion Angst wurde nun zu einem hilfreichen Erkennungszeichen für mich. In mein von John Strelecky inspirierten „Aha-Erlebnis“-Buch schrieb ich den Satz: „Wovor wir uns am meisten fürchten, ist normalerweise das, was wir am dringendsten tun müssen.“ (Timothy Ferriss). Mit jedem neuen Angst-Gefühl wusste ich nun, was ich zu tun hatte: Mich der Situation stellen. Angsteinflößende Situationen wurden zu einer Übung, um über mich hinauszuwachsen. Mittlerweile ist das Gefühl Angst für mich nur noch ein Wegweiser, den es lohnt, näher anzuschauen.

Erste Schritte Richtung
Selbstständigkeit

Die Arbeit in der Agentur empfand ich nach wie vor als spannend – wahre Begeisterung wurde in mir aber dann entfacht, wenn ich über die Potenziale im Team nachdachte und dabei den Drang verspürte, diese, gemeinsam mit dem Team, stetig zu verbessern. Das war mein erster Schritt in Richtung Selbstständigkeit. Unser Team damals war super. Wir hatten viele tolle Leute, die das Unternehmen voranbrachten. Dennoch stießen wir alle irgendwann an unsere Grenzen. Ich erzählte der Geschäftsführung von meiner Vision, Agilität ins Unternehmen zu bringen, den Fokus auf die Menschen zu legen und die Ergebnisse durch eine echte Team-Zusammenarbeit deutlich zu verbessern. So kam ich auch zu meinem heutigen Berufsfeld. Ich absolvierte die systemische Beraterausbildung und beschäftigte mich intensiv mit den Themen Organisations- und Teamentwicklung, Agilität und der Komplexität Mensch. Schnell stellte ich fest, dass hier eine Ambivalenz entstand: Wenn ich Teamentwicklung und Agile Coaching mit meinem Alltag als Mediaplanerin verbinde, was hat dann Vorrang? Welche Kriterien kann ich verwenden, um eine Entscheidung zu treffen? Ich war immer in einer Doppelrolle und musste für jede Situation neu entscheiden: Was ist jetzt wichtiger? Das führte zu Frust, denn meistens standen die Alltagsarbeiten und das, was nach außen sichtbar war und nach oben berichtet werden konnte, im Vordergrund. Es war schwer zu rechtfertigen, warum Teamentwicklung sinnvoller ist als das Abliefern eines Pitches oder weiterer Angebote. Natürlich verstehe ich die Sichtweise und die Wichtigkeit derer, doch Verstehen ist nicht gleich Verständnis. Ich stand vor der Wahl – entweder bleibe ich weiterhin Mediaplanerin und baue ein zweites Team auf, mit dem ich gemeinsam mit Kanban arbeite oder ich gehe aus dem Unternehmen und werde selbstständig. Ein CTO einer Berliner Agentur, der mein erster Auftraggeber sein sollte, ermunterte mich die nächsten Schritte Richtung Selbstständigkeit zu gehen.

„Sonnenstrahlen“ aus der gelben Tüte

Fast jeder würde wohl sagen, dass er selbst sein schärfster Kritiker ist. Mir geht es da nicht anders. Oftmals geben wir den negativen Dingen in unserem Leben mehr Aufmerksamkeit als den positiven. Wir sammeln sozusagen die negativen Erlebnisse in einer schwarzen Tüte und tragen sie mit uns rum. Dadurch verlieren wir schnell wertvolle Energie. Aus diesem Grund habe ich meine gelbe Tüte mit kleinen positiven Sonnenstrahlen – ja, diese sind wirklich in einer gelben Tüte. Jedes Mal, wenn ich stolz auf etwas bin, ein positives Feedback von meinen Kunden bekomme oder Freude über eine berufliche Situation empfunden habe, schreibe ich es auf, datiere es und lege es in die gelbe Tüte. Regelmäßig lese ich mir diese kleinen Zettel durch und werde dadurch positiv bestärkt in dem, was ich tue. Meine schwarze Tüte hingegen wird durch eine selbstgemanagte Müllabfuhr regelmäßig entleert.

Momentan begleite ich einen Kunden im Aufbau seiner Scrum Master Fähigkeiten. Nach einem digitalen Coaching, in dem er das caochen an mir „übte“, war ich begeistert, stolz und habe mich tierisch darüber gefreut, was er durch unsere Zusammenarbeit in kürzester Zeit erreicht hat. Auch dieser kleine Sonnenstrahl ist in meine gelbe Tüte gewandert.
In meiner Arbeit sehe ich oft, was wir Menschen alles erreichen können, wenn wir uns selbst vertrauen, offen sind, unsere „Schubladen“ hinterfragen und uns gesehen fühlen, für das, was wir an Einsatz bringen. Wenn wir die nötige Wertschätzung und den Respekt bekommen, entsteht eine innere Strahlkraft. Wenn wir in uns selbst ruhen, uns wohlfühlen und unsere Bedürfnisse erfüllt sind, dann haben wir die intrinsische Motivation mitzumachen. Und das ist wichtig für ein Unternehmen, um voranzukommen. Probleme verlieren viel an Gewicht, weil sie gemeinsam gelöst werden und die positive Energie führt letztlich zu großartigen Ergebnissen. Der Mensch leistet, formt und gestaltet. Wenn er nicht mitzieht, bleibt in der Konsequenz meist Stillstand oder Chaos übrig.

Die Ideen sprudeln

Die Erwartungen, Ziele und Vorgaben anderer, das „Getrieben-sein von außen“, sperrten mich damals in ein gedankliches Gefängnis. Ich merkte früher nicht, dass ich sehr auf Leistung ausgerichtet war. Umso mehr schätze ich nun meine gewonnene Freiheit im Kopf – denn das führt zu wirklich kreativen und innovativen Gedanken und Ideen. Plötzlich komme ich auf Einfälle, von denen ich früher nur hätte träumen können. Freiräume zum Denken und um voranzukommen sind unerlässlich, um letztendlich gute Ergebnisse und Qualitäten zu schaffen. Im offenen Austausch mit Gleichgesinnten, bei Netzwerkveranstaltungen, beim Segeln oder in der Natur – wenn ich außerhalb fester Strukturen bin, dann sprudeln die Ideen. Es bereitet mir viel Freude zu sehen, wie diese Ideen final in der Umsetzung ihre Wirksamkeit voll entfalten. Selbstverständlich braucht es auch Phasen mit Struktur – diese verbringe ich konzentriert am Schreibtisch. Wenn ich gedanklichen Freiraum brauche, keine Termine habe und brainstormen oder konzipieren möchte, gehe ich in einen anderen Raum oder raus, um meinen Gedanken durch einen Kontextswitch eine neue Perspektive zu geben.  

Ich vertraue dem Prozess
und schätze das Fragezeichen

Das Schöne, wenn ich an die Zukunft denke, ist, dass dort erstmal ein Fragezeichen steht. Wenn ich wüsste, was genau kommt, wäre es nicht mal halb so aufregend. Heute habe ich volles Vertrauen in Prozesse, in mich selbst, in meine eigenen Stärken und Fähigkeiten. Dadurch öffnen sich viele spannende Türen durch die ich mit Begeisterung gehe. Natürlich habe ich auch Ziele, doch diese sind so gesteckt, dass noch ein gutes Stück an Leere mitschwingen darf. Die Extreme der modernen Businesswelt zu verbinden, Generationen zusammenzubringen und Teamarbeit in den Vordergrund zu rücken, damit Potenziale entfesselt werden, sind das, was mich täglich antreibt. Ich möchte mein Business noch weiter auf- und ausbauen, noch wirksamer werden und mit vielen Menschen zusammenarbeiten, die danach sagen können: „Jutta ist authentisch, offen und wertschätzend – mit ihr hat sich viel bewegt. Konflikte haben sich gelegt und wir sind näher zusammengewachsen. Die Atmosphäre hat sich deutlich verbessert. Es hat Spaß gemacht, mit ihr zusammenzuarbeiten und wir haben menschlich sowie wirtschaftlich Erfolge erzielt.“


Jutta Reichelt

  1. Situationen, in denen Teams nicht zusammenarbeiten, Unternehmen und Organisationen nicht effektiv arbeiten und Führungskräfte eine andere Sprache als ihre Mitarbeitenden sprechen – dies sind nur einige Herausforderungen, die die heutige Arbeitswelt mit sich bringt. Darüber hinaus fordern die Digitalisierung, der demographische und gesellschaftliche Wandel, neue oder sich verändernde Märkte und aktuelle Entwicklungen, Organisationen stetig heraus.

Jutta Reichelt arbeitet mit ihren Kunden daran, diesen Herausforderungen wirksam zu begegnen, indem sie Raum für Entwicklungen schafft sowie Unsicherheiten und Ungleichgewichte auflöst. Als Gefährtin, Leuchtturm und Ratgeberin für ihre Kunden, arbeitet sie strategisch und fokussiert, aber auch mit Leichtigkeit und Begeisterung, um Organisationen auf ihrem Kurs Richtung mehr Effizienz und Wirksamkeit zu begleiten.

www.jutta-reichelt.de


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